Plötzlich ist ein fester Bestandteil meines Lebens nicht mehr da. Ich falle. Meine Welt ist von jetzt auf gleich nicht mehr die selbe und doch muss sie sich weiter drehen. Eine Situation, durch die jeder von uns durch muss: Ein Elternteil verstirbt.
Jetzt ist es auf den Tag ein Jahr her, dass ich diesen gefürchteten Anruf erhielt. „Es sieht nicht gut aus. Kannst du kommen?“ Das Unfassbare ist eingetreten. Eine Welle der Trauer und Angst schlägt über mir zusammen.
Der Autopilot schaltet sich ein. 500 Kilometer Auto fahren. Ich funktioniere. Telefonate mit Verwandten und Freunde führen um sie zu informieren. Ich funktioniere. Gespräche mit dem Bestatter führen. Ich funktioniere. Dazwischen sitze ich immer wieder ungläubig vor mich her starrend da und breche in Tränen aus.
Und doch gibt es in der Zeit etwas Schönes: Der unglaubliche Zusammenhalt und Zusammenrücken in der Familie. Freunde, die bedingungslos einfach da sind. Wir verstehen uns ohne zu sprechen. Wir sind füreinander da.
Trauer ist nicht nur schwarz
Es braucht Zeit bis ich wieder zu mir gefunden habe und Dinge wahrnehmen kann. Die kleinen und großen Gesten der Anteilnahme von Freunden und Kollegen. Aber auch Menschen, die keine Empathie zeigen (können).
Einen eigenen Weg zu finden, wie ich trauern und mit der neuen Situation umgehen soll, ist nicht einfach. Gibt es eigentlich noch diesen einen Weg? Muss ich noch schwarze Kleidung tragen, wie es noch vor Jahren üblich war? Was denken die anderen über mich? Trauere ich wirklich genug?
Allein diese Gedanken zeigen mir, dass wir in unserer Gesellschaft noch nicht so offen sind wie wir es sein könnten und vielleicht auch sollten. Jeder hat seinen eigenen Weg mit Schicksalsschlägen jeder Art umzugehen. Und doch gibt es Menschen, die es immer besser wissen.
Ich habe für mich selbst einen Weg gefunden zu trauern. Für mich ist es eine Playlist auf Spotify, ein Tannenzapfen aus dem Wald und Coco. Diese Dinge helfen mir. Nur mir. Denn das ist mein persönlicher Weg damit umzugehen. Also wenn deine Welt plötzlich stillsteht, finde deine persönlichen Dinge, die dir helfen. Es ist egal was andere davon halten. Denn wichtig in solchen Situation ist nur, dass es dir als betroffene Person hilft.
Trauer ist eine goldverzierte Narbe
Im Netz bin ich über einen wunderbaren Text gestoßen. In dem wird beschrieben, dass wenn jemand stirbt, diese Person eine Narbe hinterlässt. So tief wie die Narbe ist, war und ist die Zuneigung zueinander. Ich finde diesen Gedanken sehr schön. Denn in der tiefen Trauer durch die ich gehen musste und noch gehe, war eine meiner größten Ängste das Vergessen. Und der Gedanke, dass ich in meinem Herzen solch eine tiefe Narbe trage, hat mir diese Angst genommen. Wir alle tragen solche Narben. Sie verheilen und doch bleiben sie da. Sie werden nicht vergessen.
Das japanische Handwerk „Kintsugi“ ist die Kunst des Reparierens von gebrochenem Porzellan. Die Scherben von zerbrochenem Porzellan werden wieder zusammengefügt und mit einer goldenen Schicht überzogen. Damit ist das Gefäß wieder nutzbar ohne das das Unglück des Zerbrechens verborgen wird. Übertragen auf meine Narbe bedeutet das für mich, dass mein Herz zerbrochen ist und wieder zusammengesetzt wurde – so wie die Scherben des Porzellans. Die Bruchstellen werden nun nach und nach mit Gold verziert.
Meine Narbe bleibt immer sichtbar und erstrahlt golden. Ich vergesse nicht sondern verziere den Verlust mit wunderbaren Erinnerungen an einen Menschen, der auch jetzt noch mein Fels in der Brandung ist. Nur eben nicht mehr hier auf Erden.
Trauer ist das zusammensetzen der Scherben und das verzieren der Bruchstücke mit goldenen Erinnerungen.