Empathie wird als eine immer wichtiger werdende Eigenschaft in der Berufswelt gesehen. Das gilt nicht nur für Mitarbeiter*innen sondern besonders auch für Führungskräfte. Es gibt Berufsfelder, in denen Empathie zum Handwerkszeug gehört. Gerade in sich schnell ändernden Arbeitsumfeld ist aus meiner Sicht ein empathischer Umgang miteinander unumgänglich. Agiles Arbeiten und flexible Arbeitsorte erfordern ein stärkeres Miteinander und Verständnis um gemeinsam Aufgaben zu erledigen und Ziele zu erreichen.

Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden. Ein damit korrespondierender allgemeinsprachlicher Begriff ist Einfühlungsvermögen.

Quelle: Wikipedia

Empathie ist mehr als Mitgefühl

Ein solch „klassisches Berufsumfeld“, in dem ich Empathie ganz vorne sehen würde, sind Ärzt*innen. Persönlich habe ich hier eine sehr unschöne Erfahrung gemacht. Als ich mit der Diagnose einer chronischen Erkrankung konfrontiert wurde, entschied ich mich für eine Ärztin, die sich in meine Situation reinfühlte und Verständnis zeigte. Gleichzeitig war es eine Entscheidung gegen den Arzt, der meinte „ich solle doch mal klarkommen“. Empathie, also das Einfühlen in die Situation der gegenübersitzenden Person, wog für mich in dieser Situation schwerer als die reine Kompetenz.

Umso mehr freue ich mich, dass Dr. med. Enise Lauterbach mir ein paar Fragen zum Thema Empathie beantwortet hat. Herzlichen Dank dafür!

Dr. med. Esine Lauterbach
Dr. med. Enise Lauterbach

Was machst du beruflich?
Ich bin Internistin und Kardiologin und habe mich im Sommer 2019 selbstständig gemacht. Aktuell entwickle ich Apps für eine bessere Patientenversorgung. Ich folgte dem Apell meiner Patienten, Digitalisierung für chronische kranke Menschen fassbar zu machen.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Mein Arbeitstag ist seit meiner Kündigung ein gänzlich anderer. Der Patientenkontakt fehlt zu über 85 Prozent und ich bin nicht mehr durch getaktet. Auch wenn ich morgens um 8 Uhr loslege, ist der Tagesablauf sehr auf meine Bedürfnisse zugeschnitten. Ich koordiniere meine Termine, wie ich es für mich persönlich sinnvoller finde. Hauptsächlich arbeite ich zurzeit viel „Remote“ und habe viele Kundentermine, was wirklich sehr neu für mich ist. 

Was macht dir besonders viel Spaß bei der Arbeit?
Mir macht vor allem Spaß, dass ich meiner Kreativität, die in den letzten Jahren zu kurz kam, sehr viel Freiraum gebe. Das Entwickeln einer Idee, vom Konzept bis zur fertigen Software ist unglaublich spannend und macht mir unheimlich viel Freude.

Welche Eigenschaften sind aus deiner Sicht essenziell um eine gute Ärztin/guter Arzt zu sein?
Gute Ärzt*innen sollten sehr gut zuhören können, Geduld haben und Mitgefühl empfinden. Gute Ärzt*innen sollten sich in die Lage des Patienten hineinversetzen können. Ängste und Sorgen erkennen, ansprechen und aushalten können. Patient*innen in jeder Situation wertschätzend zu behandeln, sollte Berufsethos sein. Ärzt*innen sollten nicht vergessen, dass Patient*innen während einer Diagnosefindung und der Behandlung in einer Ausnahmesituation sind. Und schließlich sollten gute Ärzt*innen alle Patient*innen so behandeln, wie sie/er gerne selbst behandelt werden möchte.

Welche Rolle spielt Empathie dabei?
Empathie sollte für alle Ärzt*innen wichtig sein. Bei manchen Kolleg*innen ist diese Eigenschaft nicht stark ausgeprägt oder es ist Ihnen nicht besonders wichtig. 
Mitgefühl zeigen ist nicht schwer. Durch einen Perspektivwechsel kann man sich in die Rolle der Patient*innen oder auch von Mitarbeiter*innen hineinversetzen, um die Beweggründe einfach besser zu verstehen. Zuhören und das Erlebte zu reflektieren stärkt ebenfalls das Mitgefühl.

Du hast sicher mit ganz viel unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun. Wie macht sich das in deinem Alltag bemerkbar?
In der Tat habe ich mit unterschiedlichsten Menschen und Charakteren zu tun. Als Ärztin ist es wichtig, Menschen gut zu hören zu können, verstehen, was Menschen bewegt, was Ihre Ängste sind und Sorgen sind. Ängste ernst nehmen und offen kommunizieren. Nichts macht Patient*innen mehr Angst als angelogen zu werden. Die Diversität meiner Patient*innen ist sehr bereichernd, da Menschen sehr unterschiedlich mit Krankheiten umgehen und unterschiedliche Reaktionen zeigen, manchmal bis hin zur Aggression. Empathie hilft auch hierbei Aggressionen nicht persönlich zu nehmen. In die Situation der Patient*innen oder Angehörigen versetzt, kann man die Gefühle der Patient*innen besser verstehen und deeskalierend reagieren. Manchmal muss man aber auch die Wut und Trauer der Patient*innen und auch der Angehörigen einfach aushalten. Diese Phasen sind wichtig für die Krankheitsverarbeitung sowie Krankheitsbewältigung. 

Würdest du dich als introvertiert bezeichnen und beeinflusst das deine Arbeit?
Ich fühlte mich schon als Kind introvertiert, damals aber nicht wissend, was das eigentlich ist. Ich war das absolute Gegenteil meiner Schwester, die schon als Kind eine echte Bühnenpräsenz zeigte. Während sie es genoss im Mittelpunkt zu stehen, fühlte ich mich sehr wohl mit mir allein und meinen Büchern. Erst im Laufe meines Erwachsenenlebens wurde mir bewusst, dass es Dinge gab, die mich so unheimlich anstrengten und so gab es Situationen, die ich bewusst mied. 
Meine ärztliche Tätigkeit wird durch meine Introversion nicht beeinträchtigt, eher im Gegenteil, gestärkt. Ich kann mich ganz auf die Patient*innen fokussieren. Wenn ich Patient*innen behandele, konzentriere ich mich nur auf diese und die Erkrankung. Ich bin ganz bei ihnen und kann durch nichts abgelenkt werden. 
Allerdings gibt es Situationen in meinem Beruf, die ich sehr belastend empfinde. Als invasiv tätige Kardiologin war ich stets wie auf einem Präsentierteller und wurde wie eine Heuschrecke beäugt. Es ist eine pure Willensstärke das täglich auszuhalten. Bestimmte Mechanismen in Kliniken verstärken zudem das Unwohlsein, wenn man im Blickpunkt Anderer ist. 

Welche Stärken hast du für dich daraus ziehen können?
Meine Introversion habe ich erst in meinem Beruf als Ärztin als Stärke gesehen. Durch meine Art konnte ich mich zu 100 Prozent auf meine Patienten fokussieren, alles andere war sekundär. Auch nach anstrengenden, stressigen und sehr schmerzhaften Ereignissen, wie dem Verlust von Patient*innen auf Intensivstationen oder in der Onkologie konnte ich durch meine Introversion besser umgehen. Ich brauchte dabei nur allein zu sein. Viele haben Angst vor dem Alleinsein und einer oft gefürchteten Leere. Ich brauche hingegen das Alleinsein, um zu mir zu kommen, dann kann ich meine Akkus wieder auffüllen. Ich bin aber keine Almö oder Eigenbrödlerin, ich suche gerne den Austausch mit sehr engen Freunden oder mir sehr gut bekannten und wertschätzenden Menschen. Gespräche in einem solchen Kreis geben mir ebenfalls Kraft und Zuversicht. 

Hindert dich das introvertiert sein manchmal im Job? Wenn ja, wie gehst du damit um?
In meinem Beruf bin ich für Vorgesetzte und laute Kollegen sehr unsichtbar, da ich erst mal nicht auffalle, weil ich still bin. Leider falle ich durch meine Leistung sehr schnell auf und stehe dann sehr im Mittelpunkt. Das ist schon viel besser geworden. Wer mich nicht so genau kennt, bemerkt es noch nicht einmal, dass unerwartete Situationen mit unbekannten Menschen mich sehr stressen können. 

Wie schaffst du dir zum trubeligen Alltag den Ausgleich?
Früher war ich viel Laufen, ich bin seit meiner Schulzeit eine sehr gute Läuferin. Ich bin bis zu meiner beidseitigen Erschöpfungsfraktur des Mittelfußes 80 km pro Woche gelaufen. Beim Laufen finde ich sehr schnell zu mir, da ich sehr gerne für mich allein laufe. Wahrscheinlich habe ich auch deshalb sehr früh damit angefangen und bin viel Langstrecke gelaufen, auch Marathon. Das andere Pendant ist Lesen, Lesen, Lesen. Lesen ist für mich Regeneration. Ich muss immer etwas Lesen. Meine Familie respektiert das zum Glück sehr und gibt mir diesen Freiraum. Last but not least, ich höre seit ich elf Jahre alt bin Musik von Iron Maiden. Wenn es mir sehr schlecht geht, ist es diese Musik, die mich wiederaufrichtet. Lautes Singen gehört selbstverständlich dazu.

Und zum Abschluss eine ganz andere Frage: Welches Buch hast du als letztes verschenkt und warum gerade dieses?
Ich habe zuletzt „Verletzlichkeit macht stark“ von Brené Brown verschenkt. Dieses Buch von ihr verschenke ich gerne, weil viele Menschen Angst haben, ihre Verletzlichkeit zu zeigen. Angst haben, sich so sehr schämen, dass sie jemand so sehen könnte, wie sie wirklich sind. Brené Brown zeigt sehr schön auf, dass zum Eingestehen der eigenen Persönlichkeit verbunden mit der Vulnerabilität, die damit einhergeht, sehr viel Mut gehört. 
Seit ich meine Verletzlichkeit nicht mehr als etwas Negatives betrachte, sondern als meine persönliche Stärke, gehe ich mit einer ganz anderen Einstellung durch die Welt. Es ist die eigene Courage, die uns stark macht und dies hat Signalwirkung für andere Menschen.

Herzlichen Dank für deine Antworten, liebe Enise!